Nachdem bei Berichten über Kriegsgefangenschaften meist von Leid und Not berichtet wird, zeigt das Schicksal von Albert Fleig aus Tennenbronn, dass es im Krieg in Sibirien auch gute Menschen gab.
Hier in Tennenbronn herrschte Elend, Arbeitslosigkeit und Hungersnot. Nahrungsmittel erhielt man nur auf Lebensmittelmarken. Nicht genug zum Leben, aber zu viel zum Sterben. Die Frauen auf den Bauernhöfen, deren Männer im Felde waren, arbeiteten mit zugewiesenen Gefangenen und Familienangehörigen Tag und Nacht um den Hof zu erhalten. Ebenso die Handwerkerfrauen um ihre Familien zu ernähren. Andere halfen überall aus, wo es Arbeit gab und vielleicht ein paar Kartoffeln oder ein Laib Brot heraussprang. Auch in der Eichbachmühle hinterließ der Krieg seine Spuren. Der alte Müller war zwischenzeitlich kränklich geworden und der Mahlbetrieb musste eingestellt werden. Doch er war voller Gottvertrauen und überzeugt, dass seine Söhne nach Kriegsende heimkommen und die Mühle wieder betreiben würden. Doch es kam anders. Der Krieg tobte in Ost und West und verschlang des Müllers Söhne, einen um den Anderen und der Jüngste, Albert, war in russischer Gefangenschaft. Mit einem englischen Kriegsgefangenen konnte die Mühle weiterbetrieben werden, damit das Getreide der hungernden Bevölkerung gemahlen werden konnte.
Lange Zeit erfuhr die Familie nichts von Albert. Schließlich gelang es dem evangelischen Pfarrer Crastel, ihn in Sibirien ausfindig zu machen, wo er in einer Getreidemühle eingesetzt war. Mangel an Nahrung litt er nie. Albert erzählte, wie die Leute in Sibirien gut zu ihm gewesen seien. Alles haben sie mit ihm geteilt. Er gehörte, obwohl Kriegsgefangener, zur Familie. Auch das nächtliche Schlaflager auf dem riesigen Kachelofen teilte er wie selbstverständlich, in den eiskalten sibirischen Nächten, mit den Anderen. Trotzdem, die lange Zeit und so weit weg von daheim, machten ihn schließlich heimwehkrank. Unaufhörlich dachte er an den Vater und wie es dem alten Mann mit seiner Müllerei gehen würde.
Diese Gedanken verführten ihn mehrmals zur Flucht, weshalb er jedes Mal tiefer ins Landesinnere hinein verlegt wurde. Zuletzt bis an den Rand der chinesischen Grenze, wo es keinerlei Postverbindung mehr gab. In die Heimat drang von Albert kein Lebenszeichen mehr. Der damalige Bürgermeister wollte ihn für Tod erklären lassen. Aber die alte Mutter wehrte sich und sagte: „Das darf nicht sein! Der Albert kommt wieder, ich spüre es genau!“, und so war es auch.
Albert Fleig kam 1921, drei Jahre nach Kriegsende, nach Wladiwostok und mit einem Frachtschiff nach Japan. Dort wurde er mit vielen Kriegsgefangenen eingeschifft und erreichte durch den Indischen Ozean, das Rote Meer und den Suezkanal nach achtwöchiger Schifffahrt an Weihnachten 1921 Israel, wo er bei der Pfefferernte Arbeit fand. Von dort dauerte es noch viele Wochen, bis er im Frühjahr 1922 seine Heimat erreichte. In St. Georgen angekommen, verbreitete sich die Nachricht von seiner Rückkehr in Tennnenbronn wie ein Lauffeuer. Die ganze Bevölkerung mitsamt dem Bürgermeister, dem Musikverein und ein Pferdefuhrwerk mit Kutsche fuhren und liefen ihm entgegen. Beim „Adler“ in Langenschiltach war der große Empfang.
Die Mutter hat ihren Sohn nicht mehr erkannt, weil er als ein großer stattlicher Herr im Pelzmantel und in Stiefeln daher geschritten kam. Als ihm aber berichtet wurde, dass sein Vater vor einem Jahr gestorben sei, weinte er bitterlich. Hatten ihn die Gedanken an den Vater und die Eichbachmühle doch am Leben erhalten. In seiner Heimat hatte er tiefes Bedauern mit der ganzen Bevölkerung, weil sie so wenig zu Essen hatte. Wenn der Eichbach genug Wasser führte, arbeitete er Tag und Nacht in der Mühle. Dankbar gab er jedem und verteilte selbst seinen eigenen Bedarf.
Heimathaus Tennenbronn von Maria Fleig