Nachdem im Jahr 2021 coronabedingt unter Ausschluss der Öffentlichkeit von unserem Ortsvorsteher ein Kranz am Kriegerdenkmal in Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewalt niedergelegt wurde, macht dieser Geschichtsspurenbericht auf drastische Weise die Grauen des Krieges ein weiteres Mal sichtbar.

Seit Veröffentlichung des Buches „Das Leben im Nationalsozialismus in Tennenbronn“ werden immer wieder bisher unbekannte Zeugnisse aus dieser Zeit dem Tennenbronner Heimathaus zur Verfügung gestellt. So auch ein Brief, der vom schlimmen Tod des Sohnes des ersten Tennenbronner Fotografen Heinrich Martin berichtet. Der Brief vom 22. Oktober 1941, der an die Mutter des Kriegsfotografen gerichtet ist, wurde von einem Kriegskameraden aus dem Kampfgeschwader 55 geschrieben. Heinrich Martin jun. war während des Zweiten Weltkrieges als „Kriegsbild-Berichterstatter“ bei mehreren Einsätzen der Luftwaffe an Bord von Aufklärungsflugzeugen und Bombern. Er war vor allem über Frankreich und England eingesetzt und ist beim Abschuss seines Flugzeuges in der Nacht vom 10. auf den 11.Mai 1941 ums Leben gekommen:

Liebe Frau Martin, ich war also bei der 1. Gruppe des Geschwaders, dem Heiner zuletzt angehört hat. Mit dem noch einzigen lebenden Offizier aus Heiners Gruppe habe ich lange gesprochen. (…) Zwei der Männer von Heiners Besatzung, der Oblt. Lumma und der Bordmechaniker Kretschmann sind an der holländischen Küste angespült und beigesetzt worden. Der Staffel selbst ist nicht mehr als diese Tatsache mitgeteilt worden.

Über das Schicksal der anderen Besatzungsmitglieder herrscht nach wie vor Ungewissheit. So schwer es mir fällt, muss ich Ihnen jedoch sagen, dass diese Ungewissheit für die Männer der Staffel zwischenzeitlich durchaus zur Gewissheit geworden ist, nämlich, dass die Kameraden und Ihr Heiner nicht mehr wiederkommen. Das Flugzeug ist mit anderen zu einem Bombereinsatz über dem Ärmelkanal Richtung England gestartet, hat aber keine Abwurfmeldung mehr abgegeben. Da zwei Flieger der Besatzung angespült wurden schließt die Staffel, -unter Zugrundelegung aller Erfahrungen-., dass das Flugzeug beim Anflug von einem englischen Nachtjäger angegriffen und abgeschossen worden ist. Da die schwere Maschine sich beim Absturz nicht auf dem Wasser halten kann muss man annehmen, dass sie sofort in den Fluten verschwunden ist. Durch die beim gewaltigen Aufprall zerstörten Scheiben sind wohl zwei der toten Kameraden aus der Maschine herausgespült worden und dann später an der holländischen Küste angetrieben worden. Das ist mit dürren Worten der Tatbestand, so, wie man ihn heute mit ganz großer Sicherheit annimmt.

Oft wird hier im Kameradenkreis auch von Heiner gesprochen. Gerade vorgestern wurde in abendlicher Runde von einem Streich Heiners berichtet. Frohes Lachen herrschte und ich musste plötzlich daran denken, dass jetzt Heiner wieder richtig unter seinen Kameraden weilte, unter Kameraden, die ihm immer sehr nahestanden. Ich habe ihn auch nur froh mit munterer Laune kennengelernt und so lebt er unter seinen Kameraden weiter.

Ich weiß, liebe Frau Martin, dass ich Ihnen mit dieser Mitteilung die letzte Hoffnung raube. Das ist hart für eine Mutter, das Schwerste, was der Herrgott jemand bestimmt. Heiner ist für sein Vaterland gestorben und darum ist sein Tod nicht sinnlos. Gewiss sagen Sie sich, dass dieser Tod nicht hat sein müssen, dass der ganze Krieg unnötig wäre. (…) Aber dem ist nicht so. Wenn ich hier noch Zweifel gehabt hätte, dann wären sie mir bei meinem Einsatz hier in Russland vergangen.

Kriegsfotograf Heinrich Martin
Heinrich Martin mit seiner „Leica“, 1939 - Archiv Heimathaus -
Kriegsfotograf Heinrich Martin
Bombardierung des Hafens in Plymouth / England am 24.09.1940
Kriegsfotograf Heinrich Martin
Handnotiz über die beiden Kameraden von Heinrich Martin jun., deren Leichen in Holland angeschwemmt wurden.
Kriegsfotograf Heinrich Martin
Heinrich Martin jun. links neben dem Offizier an der Absturzstelle eines englischen Flugzeugs.
Kriegsfotograf Heinrich Martin
An Bord dieses Flugzeugs dokumentierte der „Kriegsbild-Berichterstatter“ Heinrich Martin jun. mehreren Angriffen der deutschen Wehrmacht auf England.

Im zweiten Teil des Briefes wird vor allem die Wirkung der Propaganda sichtbar und welchen Schrecken aber auch welcher Verblendung die Soldaten damals ausgesetzt waren. Fortsetzung des Briefes:

Ich weiß, liebe Frau Martin, dass ich Ihnen mit dieser Mitteilung die letzte Hoffnung raube. Das ist hart für eine Mutter, das Schwerste, was der Herrgott jemand bestimmt. Heiner ist für sein Vaterland gestorben und darum ist sein Tod nicht sinnlos. Gewiss sagen Sie sich, dass dieser Tod nicht hat sein müssen, dass der ganze Krieg unnötig wäre, dass die Menschheit in Frieden leben könnte; aber das ist nicht so. Wir hätten nicht in Frieden leben können. Wenn ich hier noch Zweifel gehabt hätte, dann wären sie mir bei meinem Einsatz hier in Russland vergangen.

Ich habe mit eigenen Augen die Unzahl von Flugplätzen gesehen, welche die Bolschewiken im Grenzgebiet gebaut haben um uns anzugreifen. (…) Die ungeheure Rüstung des Sowjetstaates ist ja wohl auch unserer Führung erst jetzt bekannt geworden. Die Härte des Kampfes im Osten sagt wohl allen genug, mit welch schwerem Gegner wir es zu tun haben. Wenn wir uns nicht zu diesem Krieg gerüstet hätten und wenn wir nicht selbst die Entscheidung, ob Deutschland lebensfähig bleiben solle, herausgefordert hätten, dann wäre die Weltrevolution über uns hereingebrochen und hätte alles vernichtet. Mir kommt es manchmal vor, als hätten wir all die Jahre auf einem Vulkan gelebt, nicht ahnend welche Gefahr uns bedrohte. Wir mussten in den Krieg ziehen um unser Leben zu retten. Vielleicht werden erst spätere Generationen dies ganz begreifen.

Wenn Heiner in diesem Entscheidungskampf um das Leben Deutschlands gefallen ist, dann muss bei allem Leid, welches Sie getroffen hat, es als Glück bezeichnet werden, dass er schon im Kampf gegen England gefallen ist. Ich habe hier im Osten Kameraden getroffen, denen das schwere Los bestimmt war in die Hände der Bolschewiken zu fallen. Ich bin dabei bis in die tiefste Seele erschauert über die Bestialität, mit der diese Steppenwölfe Asiens unsere Kameraden zugerichtet haben. Man glaubt hier draußen oft nicht gegen Menschen zu kämpfen sondern gegen reißende Tiere.

In Ihrem Brief schrieben Sie, liebe Frau Martin davon, dass Sie sich Vorwürfe machen, nicht genug gewacht zu haben, nicht gebetet zu haben, als Heiner in seiner Todesstunde nach Ihnen rief. Diesen Vorwurf dürfen Sie sich nicht machen. Eine Hausfrau und Mutter, die von morgens bis abends ihre Pflicht tut und unermüdlich für die Familie schafft, hat vor Gott und den Menschen das Recht, im Schlafe neue Kraft für den nächsten Tag zu finden. (…) Dieser Krieg ist schwer, jeder muss sich damit abfinden und keiner weiß, was ihm noch selbst bestimmt ist. Jeder Flieger, ja jeder Soldat und Kriegsberichterstatter muss täglich den Kampf an der Front auf sich nehmen. Ein Ende gibt es erst, wenn der Sieg errungen ist, denn alles andere würde unseren Untergang bedeuten. Für diesen Sieg ist kein Opfer zu groß. Jedes Menschenleben, das hier erlischt, steht für Millionen Menschen in Deutschland, für Eltern, Kinder und Geschwister, für Haus und Hof, für alles, was in einem Jahrtausend geworden ist und für uns den Begriff „Heimatland“ bedeutet.

Mit herzlichen Grüßen: Ihr Herbert Scharkinski

 

Als weiterer Schicksalsschlag für die Tennenbronner Familie Martin ist neben Heinrich auch sein Bruder Hermann im „Dritten Reich“ gefallen und nicht mehr nach Hause zurückgekehrt.

– Heimathaus Tennenbronn von Robert Hermann –

Anmerkung:
Das Buch „Das Leben im Nationalsozialismus in Tennenbronn“ ist bei den Mitgliedern der Heimathausgruppe und im Heimathaus weiterhin erhältlich.